Vorstösse der SP Uster im Gemeinderat

07. September 2011

Pflegen für einen Hungerlohn – auch in Uster?

Anfrage von Walter Strucken

Vermehrt erfahren wir aus den Medien, dass sich pflegebedürftigte Betagte durch Pendelmigrantinnen zu Hause pflegen lassen. Durch private Vermittlungsstellen werden günstige Betreuerinnen aus dem Ausland vermittelt, welche dann zu Tiefstlöhnen rund um die Uhr arbeiten ohne geregelte Freizeit.

In diesem Zusammenhang bitte ich den Stadtrat um Beantwortung folgender Fragen:

  1. Gibt es in Uster solche Vermittlungsstellen?
  2. Gibt es auch in Uster Seniorinnen und Senioren, welche durch Pendelmigrantinnen rund um die Uhr betreut werden? Durch wen wurden diese vermittelt?
  3. Wie kann der Stadtrat sicherstellen, dass die betroffenen Pflegerinnen korrekt entlöhnt werden sowie gegen Unfall versichert sind und AHV-Beiträge abliefern?
  4. Besteht eine Eingriffsmöglichkeit, wenn ein offensichtlicher Missbrauch oder eine Ausnützungssituation besteht? Wären die involvierten Hausärzte nicht entsprechend meldepflichtig?
  5. Hat die Spitex der Stadt Uster Kenntnis von solchen Pflegeverhältnissen und allfälligen Missständen?

Besten Dank für die Beantwortung der Fragen.

 

Der Stadtrat beantwortet die Anfrage wie folgt:

Vorbemerkung

Grundsätzlich gilt es zu unterscheiden zwischen «Arbeitsvermittlung» und «Arbeitsverhältnis». Bei der «Arbeitsvermittlung» geht es darum, Arbeitssuchende mit Arbeitgebern zur Begründung von Arbeitsverhältnissen zusammenzuführen. Ein «Arbeitsverhältnis» hingegen ist die rechtliche und soziale Beziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Diese Unterscheidung ist deshalb wichtig, weil sogenannte Pendelmigrantinnen oft direkt beim entsprechenden Haushalt, welche die Arbeitsleistungen in Anspruch nehmen, angestellt sind. Die Vermittlungsstellen beschränken sich in diesen Fällen auf die Vermittlungsleistungen, bis es zum Abschluss eines Arbeitsvertrages kommt.

Als zweites sind «Pflege» und «Betreuung» auseinanderzuhalten. Krankenpflege wird auf ärztliche Anordnung hin oder im ärztlichen Auftrag erbracht. Sie ist Teil der Leistungen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung, welche von den Krankenkassen gemäss den vom Bundesrat festgelegten Beiträgen bezahlt werden. Was unter «Krankenpflege» zu verstehen ist, ist in der Krankenpflege-Leistungsverordnung KLV in Art. 7 Abs. 2 geregelt: es sind dies «Massnahmen der Abklärung und Beratung», «Massnahmen der Untersuchung und der Behandlung» und «Massnahmen der Grundpflege». Unter «Betreuung» werden in der Regel hauswirtschaftliche Leistungen verstanden, wie etwa Hilfe bei der Haushaltsführung, Erledigung von Einkäufen oder Reinigung der Wäsche.

Bei der Beantwortung der folgenden Fragen gilt es diese Differenzierung im Auge zu behalten, insbesondere was die rechtlichen Grundlagen, aber auch was die unterschiedlichen Entlöhnungen anbelangt.

Zu Frage 1: Vermittlungsstellen, die explizit in Uster mit Pendelmigrantinnen arbeiten oder in der Stadt Uster ihr Domizil haben, sind dem Stadtrat nicht bekannt.

Zu Frage 2: Die Spitex Uster hat davon keine Kenntnis. Dabei gilt festzuhalten, dass die Spitex weder einen Auftrag hat, noch dazu befugt ist, hierzu Abklärungen zu tätigen.

Zu Frage 3: Dies kann der Stadtrat nicht sicherstellen. Dies ist Pflicht des entsprechenden Arbeitgebers, auch im Rahmen der Fürsorgepflicht gegenüber seinen Angestellten.

Im Folgenden geben wir die Antwort des Amtes für Wirtschaft und Arbeit (AWA) des Kantons Zürich wieder, welche uns zwecks Klärung der rechtlichen Rahmenbedingungen freundlicherweise zur Verfügung gestellt wurde.

Zum Freizügigkeitsabkommen (FZA) und zum Bundesgesetz gegen die Schwarzarbeit (BGSA):

Sogenannte Pendelmigrantinnen sind oft direkt beim entsprechenden Haushalt angestellt. Bei Tätigkeiten unter 90 Tagen reicht es bei EU-/EFTA-Angehörigen, im Rahmen der Anwendung des FZA, wenn die Meldepflicht an das Amt für Wirtschaft und Arbeit (AWA) wahrgenommen wird.

Sofern eine Meldung erfolgt, kontrolliert das AWA auf dem Schriftweg stichprobenweise, ob die Arbeits- und Lohnbedingungen (insbesondere gemäss Normalarbeitsvertrag Hausarbeit, NAV) eingehalten werden. Falls sich dabei herausstellt, dass z.B. keine Unfallversicherung abgeschlossen wurde oder die AHV-Beiträge nicht korrekt abgerechnet bzw. abgeliefert werden, so werden die zuständigen Spezialbehörden informiert, welche die notwendigen Massnahmen ergreifen und allenfalls Sanktionen aussprechen. In diesem Rahmen bestehen somit gewisse Eingriffsmöglichkeiten, wenn ein offensichtlicher Missbrauch oder eine Ausnützungssituation besteht.

Es gehen beim AWA in diesem Bereich jedoch eher wenige Meldungen gemäss FZA ein; daraus ergibt sich die Vermutung, dass teilweise „schwarz“ gearbeitet wird - womit das BGSA zur Anwendung kommt. Die Kontrolle ist allerdings auch in dieser Hinsicht nicht einfach. Zudem fehlen verlässliche Referenzzahlen dazu, in welchem Umfang sich pflegebedürftige Betagte in der Schweiz bzw. im Kanton Zürich durch Pendelmigrantinnen zu Hause pflegen lassen.

Zum Arbeitsvermittlungsgesetz (AVG):

Betriebe, die regelmässig und gegen Entgelt im Inland Betreuerinnen vermitteln, benötigen eine Bewilligung zur privaten Arbeitsvermittlung des AWA des jeweiligen Sitzkantons. Wer regelmässig Arbeit ins oder aus dem Ausland vermittelt (Auslandsvermittlung), benötigt zusätzlich zur kantonalen Betriebsbewilligung eine Bewilligung des Staatssekretariats für Wirtschaft (SECO).

Bei der Bewilligungserteilung wird überprüft, ob der Betrieb und der verantwortliche Leiter die Bewilligungsvoraussetzungen gemäss Art. 3 AVG erfüllen. Überprüft wird auch die Höhe allfälliger Provisionszahlungen der Vermittelten. Bei entgeltlicher Vermittlung muss der Vermittler den Vertrag mit der Stellensuchenden schriftlich abschliessen. Er muss darin seine Leistungen und die dafür geschuldete Vergütung angeben.

Gemäss AVG grundsätzlich nicht überprüft werden hingegen die zwischen den Arbeitgebern und den Vermittelten abgeschlossenen Arbeitsverträge; diese unterstehen privatrechtlichen Erlassen (Obligationenrecht, OR) und werden allenfalls durch den NAV Hauswirtschaft ergänzt. Die korrekte Entlöhnung der Betreuerinnen, die Versicherung gegen Unfall und die Ablieferung der AHV-Beiträge ist Sache der Arbeitgeber, nicht der Arbeitsvermittler.

Wenn ein Missbrauch des Arbeitsvermittlers festgestellt werden sollte (z.B. Vermittlung von Ausländerinnen ohne gültige Bewilligung zur grenzüberschreitenden Tätigkeit), kann die Bewilligung zur privaten Arbeitsvermittlung entzogen werden.

Zum Arbeitsgesetz:

Des Weiteren stellt sich die Frage, ob die Pendelmigrantinnen dem Arbeitsgesetz (ArG) unterstehen. Das Arbeitsgesetz ist jedoch, unter Vorbehalt von Artikel 3a, nicht anwendbar auf private Haushaltungen (Art. 2 Abs. 1 lit. g ArG). Eine private Haushaltung im Sinne dieser Bestimmung liegt vor, wenn jemand für seine privaten Bedürfnisse und nicht zu geschäftlichen Zwecken Personen in seiner Wohnung beschäftigt. Welche Tätigkeit diese Personen im privaten Haushalt ausüben, ist ohne Bedeutung. Es kann sich z.B. um Reinigungspersonal, Dienstboten, Haushalthilfen, Chauffeure oder Gärtner handeln. Dabei ist es gleichgültig, ob die entsprechende Person in der Haushaltung wohnt oder nicht. Die Ausnahme betrifft die Haushaltung als Betrieb, sodass das ArG für alle entsprechenden Arbeitnehmer nicht gilt. Anwendbar bleiben aber die Bestimmungen über das Mindestalter der Arbeitnehmer (Thomas Geiser in: Stämpflis Handkommentar zum Arbeitsgesetz, Zürich 2005, Art. 2 N 39).

Damit dürfte das Arbeitsgesetz bezüglich der Vermittlung von Pendelmigrantinnen in der Regel nicht anwendbar sein. Stattdessen verpflichtet Art. 359 Abs. 2 OR die Kantone, für die privaten Haushaltungen einen Normalarbeitsvertrag (NAV) zu erlassen, um einen minimalen Arbeitnehmerschutz auch in diesem Bereich sicherzustellen (Geiser, a.a.O., Art. 2 N. 41). Der Kanton Zürich hat, wie bereits oben angetönt, einen entsprechenden NAV erlassen.

Das AWA nimmt seine Aufgaben in den erwähnten Bereichen sehr ernst. Doch auch das AWA kann nicht in letzter Konsequenz „sicherstellen“, dass die gesetzlichen Vorgaben von den Arbeitgebern durchwegs eingehalten werden.

Zu Frage 4: a) vgl. die ausführliche Stellungnahme des Amtes für Wirtschaft und Arbeit (AWA) des Kantons Zürich in der Antwort zu Frage 3.

b) Gemäss Auskunft der Präsidentin Verein der Ärzte von Uster finden Hausbesuche kaum noch statt, was dazu führt, dass Ärzte selten in private Haushaltungen Einblick haben. Fälle von Einsätzen von Pendelmigrantinnen sind keine bekannt. Es ist nicht die Aufgabe der Ärzte in diesem Zusammenhang Abklärungen zu tätigen oder in irgendeiner Form einzugreifen, sofern keine gesundheitsgefährdende Situation vorliegt. Nur dann hätten sie die Möglichkeit einer Anzeige.

Zu Frage 5: Nein. Vgl. Antwort zu Frage 2.

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