Vorstösse der SP Uster im Gemeinderat

24. Februar 2021

Ausgangslage Kindergarten

Anfrage von Monika Fitze und Angelika Zarotti

In der Beantwortung der Anfrage 586/ 2020 «Armut - wo steht Uster» von Balthasar Thalmann stellt der Stadtrat in der Frage 4 fest, dass die Situation vor dem Kindergarteneintritt, wie auch während den ersten beiden Schuljahren (Kindergarten), verbessert werden könnte. Die zugeteilten Ressourcen würden den tatsächlichen Verhältnissen zu wenig Rechnung tragen und den dortigen Anforderungen nicht gerecht werden. Gefährdete Kinder hätten deshalb schlechtere Bildungschancen.

Chancengerechtigkeit ist nicht nur in der Bundesverfassung verankert (Art.41 Abs. 1f; Art 8 Abs.2), sondern auch ein wichtiger Grundsatz des schweizerischen Bildungswesens. Die Einschätzung des Stadtrates, dass die Chancengerechtigkeit in Uster nicht mehr gegeben sei, ist beunruhigend.

Wir stellen dem Stadtrat daher folgende Fragen:

  1. Der Stadtrat antwortet, dass die vorgegebenen Ressourcen (Vollzeiteinheiten, VZE) den «tatsächlichen Verhältnissen» und Anforderungen nicht gerecht würden. Wie sind die tatsächlichen Verhältnisse im Kindergarten? Wo entstehen der Mehraufwand und die Belastung für die Lehrpersonen? Bitte zeigen Sie auf, wie eine durchschnittliche Kindergartenklasse zusammengesetzt ist. Wie viele Kinder bedürfen einer ausserordentlichen Betreuung bzw. Aufmerksamkeit durch die Lehrpersonen?
  2. Welche konkreten Auswirkungen hat die aktuelle Situation auf das Lernklima und die Lernbedingungen im Kindergarten?
  3. Welche Kompetenzen und Vorerfahrungen werden bei den als besonders gefährdet eingeschätzten Kindern vermisst? Woran liegt es, aus der Perspektive der Primarschule, dass diese bis anhin nicht erworben wurden?
  4. Kennt die Primarschule erfolgreiche Modelle, welchen vor Eintritt in den Kindergarten die wichtigsten Basiserfahrungen in den relevanten Bereichen fördern (z.B. Umgang mit Menschen / Sprache und Kommunikation / Motorik / Entwickeln eines positiven Selbstkonzeptes)?
  5. Wie müssten die in Antwort 4 kritisierten Ziele, Leistungen, Indikatoren und Ressourcen im Leistungsauftrag stattdessen formuliert werden, damit im Bereich Frühe Förderung, unter anderem auch in der Zusammenarbeit und Koordination der jeweiligen Behörden, Verbesserung erzielt werden können? Verfassen Sie bitte einen konkreten Vorschlag.

Besten Dank für die Beantwortung.

 

Die Primarschulpflege beantwortet die Anfrage wie folgt:

Zu Frage 1: Im Kindergarten ist die Heterogenität heute sehr gross. Während einzelne Kinder bereits selbständig mit einem grossen Wortschatz und hoher Sozialkompetenz in den ersten Zyklus eintreten, verfügen andere erst über einen geringen Spracherwerb und wenig Sozialkompetenz. Besonders aufwändig sind Kinder, die sich nicht an einem Kollektiv ausrichten und (noch) nicht vom Modellernen (nachahmen) profitieren können. Diese Kinder orientieren sich nicht an den älteren Kindern, welche die eingeübten Rituale vorleben und gehen ihre «eigenen Wege», was rasch eine erhöhte Betreuung erfordert. Verhaltensmässig fallen auch Kinder auf, die über keinerlei Strategien verfügen Lust- und Unlustgefühle altersadäquat zu regulieren. Die Anpassung an die Gruppe fällt diesen Kindern deutlich schwerer, sie reagieren mit Wut oder Rückzug, wenn Anpassungsleistungen gefordert werden.

Über die Zusammensetzung einer durchschnittlichen Kindergartenklasse gibt es keine objektiven, wissenschaftlichen Erhebungen. Es existieren hingegen die subjektiven Einschätzungen der Lehrpersonen und die allgemeinen Zahlen aus Wissenschaft und Literatur. Gemäss letzteren hat sich in den vergangenen 15 Jahren der Anteil an verhaltensauffälligen Kindern zwar nur marginal gesteigert; der liegt heute gemäss Prof. Thomas Lustig (HfH Zürich) bei 15% - 20%. Demgegenüber berichten die Lehrpersonen von einer stark zunehmenden Belastung: Der Anteil von Kindern mit normalem, altersadäquatem Entwicklungsstand scheint von Jahr zu Jahr zu sinken. Die Mehrheit der Kinder in den aktuellen Klassen braucht heute Unterstützung. Dies mag auch damit zu tun haben, dass sich das gesellschaftliche Umfeld verändert, die Normen verschieben oder die Erwartungen sich verändern. Hinzu kommt, dass die Kinder heute früher in den Kindergarten eintreten und damit jünger sind.

Parallel zu dieser Entwicklung sinkt die Zahl der verfügbaren Kindergartenlehrpersonen. Wenn sich die Anstellungsbedingungen (z.B. Lohn) für die Lehrer/-innen dieser Stufe nicht verbessern, wird sich diese Entwicklung fortsetzen. Bereits heute zeigen sich diese Schwierigkeiten bei der Rekrutierung von neuen Kindergartenlehrpersonen. Gemäss einer Umfrage der PSU im Frühling 2021 zeigte sich, dass Kindergartenlehrpersonen mehrfach belastet sind: Sie arbeiten durchschnittlich 6 Stunden mehr pro Woche, haben einen tiefen Lohn, sie können keine Pause machen und sich nicht entspannen und das Ansehen in der Öffentlichkeit wird als gering eingeschätzt.

Zu Frage 2: Aufgrund der Heterogenität und dass die Kinder auch aufgrund des jungen Alters (beim Eintritt mind. 4-jährig) in ihrer Entwicklung deutlich weniger weit sind als in früheren Kindergarten-Jahren, bleibt den Lehrpersonen (LP) weniger effektive Bildungszeit/ Lehrzeit. Sie brauchen zunehmend mehr Zeit und Aufwand für reine Betreuungsaufgaben wie: Kinder beruhigen, ihnen bei der Garderobe helfen, ihnen auf der Toilette helfen, Umgang mit Frustration üben oder grundlegende Anweisungen für einfaches Spielen geben.

Während im Hort ein Betreuungsschlüssel von 1:11 und für Kindergartenkinder sogar 1:9 empfohlen (KIBE Suisse) wird, und in Uster auch umgesetzt wird – ist der Betreuungsschlüssel in den Kindergartenklassen immer noch 1:21. Eine Anpassung des Betreuungsschlüssels im Kindergarten wäre sicher sinnvoll.

In einem Experiment von August bis Dezember 2019 wurden in zwei Kindergärten während aller Morgenstunden je eine pädagogische Mitarbeiterin eingesetzt. Dank dieser weiteren erwachsenen Person konnte die Betreuungsspanne deutlich verkleinert werden. Da während weniger Stunden eine weitere pädagogische Mitarbeitende (PM) für ISR-Kinder anwesend war, konnte die Zahl der Kinder, für welche die Erwachsenen pro Gruppe verantwortlich und zuständig waren, deutlich reduziert werden. Sie konnten dadurch besser auf die Bedürfnisse der Kinder eingehen. Mit der von Beginn weg mehrfachen Sprachförderung durch die Klassen-LP, die (ISR-)PM und die DaZ-LP (Deutsch als Zweitsprache) gelang es den fremdsprachigen Kindern somit besser und früher, sich in der Kindergartengemeinschaft zu orientieren und am Geschehen des Unterrichts aktiv teilzunehmen. Die arbeitsteiligen Interventionen des Unterrichtsteams auf dem Niveau des jeweiligen Kindes waren insbesondere wirksam im Bereich der sprachlichen und der sozio-emotionalen Integration in die Klassengemeinschaft.

Massnahmen im Bereich der Schule sind allerdings nur Symptombehandlungen. Entscheidend ist es, Eltern schon vor dem Schuleintritt zu erreichen. Sie in der Erziehung zu unterstützen und zu stärken sowie gute Spiel- und Freizeitangebote anzubieten.

Eltern sollen früh darüber informiert werden, welche negativen Folgen digitale Mediennutzung bei Kleinkindern vor dem Schuleintritt verursacht (beispielsweise eine reduzierte Sprachentwicklung, tiefere Sozialkompetenz oder Aufmerksamkeitsstörungen).

Zu Frage 3: Am schwersten wiegen fehlende Sozialkompetenzen, ein tiefer Spracherwerb, eine geringe Aufmerksamkeitsspanne und tiefe Frustrationstoleranz. Kinder verbringen heute viel weniger Zeit im freien Spielen mit anderen, gleichaltrigen Kindern, in dem sie sich alle wesentlichen Kompetenzen wie den Spracherwerb, Sozialkompetenzen, Teamfähigkeit, Frustrationstoleranz oder Konzentrationsfähigkeit aneignen. In den letzten 20 Jahren hat die Spielzeit um rund 30 % abgenommen. Während viele Eltern ihre Kinder kindgerecht erziehen und ihnen ein anregendes und altersgerechtes Umfeld bieten, fehlen einigen Kindern diese Grundlagen. Durch eine zunehmend verplante Kindheit mit zeitlicher Gebundenheit fehlt den Kindern die Freizeit und Freiheit selbst Spiele zu entwickeln und sich darin zu vertiefen. Überbehütung, die in der Folge zu wenig Bewegungs- und Entwicklungsfreiheit führt, ist ebenfalls ein wesentlicher Grund. Des Weiteren werden bereits kleine Kinder zunehmend mit digitalen Medien «ruhiggestellt». Dies führt zu weniger Beziehung zwischen Eltern und Kindern, zu weniger Spozialkompetenz, Spracherwerb, Konzentrationsfähigkeit, Frustrationstoleranz, Bewegung und fein- und grobmotorischen Fähigkeiten bei den Kindern, was zu grossen sowohl schulischen wie auch gesellschaftlichen Problemen führt. Alle erforderlichen Kompetenzen erlernen die Kinder durch die aktive, selbständige Anwendung und Übung – und nicht durchs zuschauen und ruhigsitzen. Forschungsergebnisse belegen, dass ein erhöhter digitaler Konsum zu einem bis zu 49 % tieferen Spracherwerb führt. 

Zu Frage 4: Es ist wichtig für Kinder möglichst viele Spielmöglichkeiten – auch mit anderen Kindern erleben zu können. Wenn dies privat nicht ermöglicht werden kann, dann sind Spielgruppen und Krippenangebote wichtig für die ganzheitliche kindliche Entwicklung. Angebote wie Zeppelin, Primokidz, Spielgruppen oder Spielgruppen+, Krippen, Deutschkurse vor dem Kindergarteneintritt oder Eltern-Kind-Deutsch im Kindergarten, Sprachstandserfassung vor dem Kindergarteneintritt und Förderkurse (Basler Modell) oder der Einsatz von Brückenbauer/-innen, Elterntraining im Kompetenzzentrum Sprache der PSU (Eltern von Kindern mit schweren Spracherwerbsstörungen beraten sich unter Anleitung einer Logopädin gegenseitig, wie sich die Sprachentwicklung zu Hause fördern lässt) sind einige Möglichkeiten, die teilweise auch in Uster bereits eingesetzt werden.

Die grösste Herausforderung ist, die Familien zu erkennen, deren Kindern den grössten Unterstützungsbedarf haben. Diese dann zu erreichen und sie zu einer Teilnahme an Massnahmen und Angeboten zu motivieren. Vor einigen Jahren hat die damalige Leiterin der FEB-Geschäftsstelle eine «informelle» Umfrage bei verschiedenen städtischen Kindergärten betreffend Erfahrungen mit den Kindern, die von einer Kinderkrippe betreut wurden, durchgeführt. Gemäss den Aussagen der damals befragten Kindergärtnerinnen leben sich diese Kinder mit wenigen Ausnahmen problemlos in den Kindergartenalltag ein. Diese Kinder verfügen über die notwendigen sprachlichen und sozialen Kompetenzen, ihre Entwicklung entspricht ihrem Alter. Sie sind gewohnt, sich in der Gruppe mit Kindern verschiedenen Alters zu bewegen und eigenständig zu spielen. Für die Kindergärtnerinnen können die Kinder, die vorher von Krippen betreut wurden, im Alltag gut begleitet und weiter gefördert werden.

Die Sozialbehörde verpflichtet alle Eltern, die Sozialhilfe oder Asylfürsorge beziehen, ihre Kleinkinder im minimalen Ausmass von drei Tagen pro Woche von einer FEB Kinderkrippe betreuen zu lassen. Derzeit sind dies rund 40 Kinder. Mit dieser Massnahme wird erfahrungsgemäss ein erfolgreicher Beitrag zur altersgerechten Entwicklung dieser Kinder geleistet und die Integration in ein soziales kindergerechtes Umfeld ausserhalb der Familie ermöglicht.

Zu Frage 5: Mit Weisung 86/2021 unterbreitet der Stadtrat dem Gemeinderat den Antrag, zur Weiterentwicklung des Bereichs «Frühe Förderung» einen Kredit von 100'000 Franken zu sprechen. Mit diesen Mitteln sollen die bestehenden Angebote besser koordiniert, vermittelt und weiterentwickelt werden. Hierzu soll das Familienzentrum zu einem «Kompetenzzentrum für frühe Kindheit» weiterentwickelt werden. Parallel dazu soll auch eine Fachgruppe «Frühe Kindheit» ins Leben gerufen werden. Diese setzt sich aus Vertretungen der Abteilungen Soziales (FEB), Bildung (Kindergarten) und Präsidiales (Kindheit, Familie und Integration) zusammen. Aufgabe dieser Fachgruppe wird es auch sein, zur Evaluation das Reporting der bestehenden Angebote mit dem bestehenden Wirkungsmodell zu optimieren.

Mögliche neue NPM-Steuerelemente sind in den GF Bildung und GF Gesellschaft:

NPM-Kennzahlen LG Regelunterricht:

L 05: Zur Verbesserung des Entwicklungsstandes der Kinder beim Schuleintritt (Kiga/1. Zyklus) arbeitet die Primarschule im Bereich Frühe Förderung eng mit den Abteilungen Präsidiales und Soziales zusammen.

K 05 : SuS mit sprachlichem Förderbedarf (Kompetenzzentrum Sprache)

K 06: SuS mit Verhaltensauffälligkeiten und zusätzlichem Förderbedarf

K 07: Effektivität der Massnahmen (wissenschaftliche Evaluation alle drei Jahre)

NPM-Steuerelemente LG Kindheit, Jugend und Inklusion:

Z 02; L 01; L 08: Die Sozialisation und Integration der Kinder- und Jugendlichen in die Gesellschaft gelingt. Entwicklungsrisiken bei Kindern werden ausgeglichen und Chancengleichheit ermöglicht

Z 03 Die Angebote der offenen Kinder- und Jugendarbeit (Jugendarbeit, Holzwurm und Spielmobil), der niederschwelligen frühen Förderung (Familienzentrum, Zeppelin und Spielgruppen mit Sprachförderung) sowie der Gemeinwesenarbeit (frjz) sind Kindern, Jugendlichen und Eltern bekannt und werden genutzt.

Das Angebot der offenen Kinder- und Jugendarbeit (OKJA: Holzwurm, FRJZ, Spielmobil, Mütterzentrum) ist den Kindern- und Jugendlichen bekannt und wird genutzt. Die Angebote der offene Kinder- und Jugendarbeit (OKJA: Holzwurm, FRJZ, Spielmobil, Mütterzentrum, Familienzentrum ist den Kinder, Jugendlichen und Eltern bekannt.

Z 08; L 01, L 08: Im Bereich «Frühe Förderung» sind die öffentlichen Angebote koordiniert, bekannt und zugänglich. Die verschiedenen Akteure aus den Bereichen Bildung, Betreuung, Gesundheit und Familie sind untereinander vernetzt.

L 08: Koordination, Vermittlung und Vernetzung der Angebote und Akteure im Bereich «Frühe Förderung» in Zusam-menarbeit mit dem Familienzentrum Uster.

I 08: Anzahl Kinder in vorschulischen Förderangeboten (Zeppelin, Kitas, Spielgruppen)

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