Vorstösse der SP Uster im Gemeinderat

12. April 2021

Corona-Massnahen – Was waren und sind die Auswirkungen auf Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene? – Fragen an die Sekundarschulpflege

Anfrage von Balthasar Thalmann

Seit über einem Jahr leben wir als Gesellschaft mehr oder weniger gut mit den Corona-Einschränkungen. Mit beispiellosem Engagement wird auf allen Staatsebenen versucht, die negativen Nebenwirkungen - insbesondere die wirtschaftlichen - so gering als möglich zu halten. Erst seit wenigen Wochen ist es wieder möglich, Jugendarbeit durchzuführen. Für mich aber völlig unklar ist, welche Folgen die Corona-Pandemie für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene zwischen etwa 10 und 25 Jahren haben. Der Regierungsrat hat anfangs dieses Jahrs mitgeteilt, dass die Anzahl der Notfallanrufe und Konsultationen in der Kinder- und Jugendpsychiatrie im Kanton Zürich in den letzten Monaten überproportional gestiegen sei.

Das alarmiert: die Folgen der Massnahmen für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene werden entweder unterschätzt, sind nicht wirklich bekannt oder werden nicht kommuniziert. Bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen in diesem Alterssegment passiert so viel, dass die Zeit, wo bei der Sozialisierung oder in der Bildung Lücken oder Defizite entstehen, diese grosse Auswirkungen auf das ganze Leben haben dürften. Denn alle zwei bis drei Jahre müssen für die Bildungs- und Berufslaufbahn relevante Entscheidungen getroffen werden.

Ich bin daher überzeugt: Allfällige Defizite bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen im sozialen Bereich oder bei der Bildung müssen rasch erkannt und behoben werden. Die Chancengleichheit wäre sonst nicht mehr gegeben - mit mutmasslich gravierenden Folgen für die ganze Gesellschaft. Denn unsere Kinder, die Jugendlichen und die jungen Erwachsenen sind die Zukunft. 

Ich stelle der Sekundarschulpflege folgende Fragen:

  1. Wie gute Kenntnisse hat die Sekundarschulpflege von den Folgen der Corona-Pandemie für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene? Welche Entwicklungen bereiten am meisten Sorgen?
  2. Wo sieht die Sekundarschulpflege den grössten Handlungsbedarf, um diese wohl in sozialpolitischen und bildungspolitischen Bereichen festgestellten Herausforderungen zu bewältigen?
  3. Hat die Sek bereits einen Plan, wie und wann die erforderlichen Massnahmen umgesetzt werden müssen und können? In welchen Grössenordnungen müssen hierfür Mittel zur Verfügung gestellt werden?

Besten Dank für die Beantwortung der Fragen.

Die Sekundarschulpflege beantwortet die Anfrage wie folgt:

Zu Frage 1: Die Sekundarstufe Uster hat bei den Schulleitungen aller Schulen, der Fachstelle Sonderpädagogik, den Schulsozialarbeitenden, dem Team von spur+ und dem Schulpsychologischen Dienst SPD Rückmeldungen eingeholt. Alle berichten von diversen Schwierigkeiten, die sich verstärkt haben, zunehmendem Absentismus und Problemen mit der Betreuung im gewohnten und notwendigen Umfang.

Auffällig ist andererseits aber auch, dass die meisten Jugendlichen die Covid-Situation hinnehmen und akzeptieren und sich nicht darüber beschweren. Grundsätzlich zeigen die Jugendlichen eine enorme Gelassenheit und Solidarität.

Die Corona-Pandemie dauert nun fast eineinhalb Jahre in unterschiedlicher Intensität. Die stärksten Auswirkungen hatte der Lockdown mit der 8-wöchigen Schulschliessung vom 16. März 2020 bis zum 10. Mai 2020. Von einem Tag auf den anderen mussten die Schulen auf Fernunterricht umstellen und die Schülerinnen und Schüler ohne direkten Kontakt mit Lehrpersonen und ihren Klassen auskommen, was ein nie dagewesener Einschnitt in den (Schul-)Alltag Aller bedeutete.

Die Schulen leisteten einen enormen Einsatz, dass die Schülerinnen und Schüler mit Lernstoff versorgt wurden und zumindest virtuell Kontakte pflegen konnten. Es wurde sichergestellt, dass alle mit den notwendigen Hilfsmitteln ausgestattet wurden und das Recht auf Bildung gewährleistet wurde - und sich niemand der Schulpflicht entziehen konnte.

Der Fernunterricht war teilweise überfordernd für die Schülerinnen und Schüler, gerade wenn mehrere Kinder Zuhause waren. Die älteren Kinder wurden verantwortlich gemacht für die jüngeren Geschwister. Selbstständiges Arbeiten und alles über Computer ist für Leistungsschwache nicht einfach. Diese Schülerinnen und Schüler haben auch eher die "Schule" vermisst. Für leistungsstarke Schülerinnen und Schüler war der Fernunterricht aber durchaus entgegenkommend. Die meisten Schülerinnen und Schüler waren jedoch froh, dass die Schule nicht ein zweites Mal schliessen musste.

Ziel der Bildungsdirektion und der Schulen war es im Mai und Juni 2020, die Lernrückstände, die durch das Fernlernen entstanden waren, so rasch als möglich wieder aufzuholen. Bei den meisten - besonders den Leistungsstarken - war das möglich. Für das Frühlingssemester 2020 wurde auf ein Zeugnis verzichtet und individuelle Lernberichte verfasst. Genaue Zahlen über Lernrückstände aber fehlen. Auch auf kantonaler Ebene gibt es keine vertieften Untersuchungen.

Nach dem Lockdown mit Fernunterricht wurde dieser evaluiert. Diese Umfragen ergaben durchaus positive Resultate. So sagten fast 70% der Eltern, dass ein geregelter Tagesablauf beibehalten werden konnte, weniger als 4% beantworteten diese Frage mit «Nein».

Die Frage, ob das Fernlernen funktioniert hat, wurde von über 90% der Eltern mit «immer» oder«meistens» beantwortet, bei den Schülerinnen und Schülern lag der Wert annähernd so hoch.

Diese Zahlen können aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich Probleme entwickelten und akzentuierten. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Auswirkungen der Corona-Pandemie unterschiedlich waren.

Für Jugendliche mit prekären Wohnverhältnissen und/oder wenig elterlicher Unterstützung war der Lockdown eine grosse Herausforderung. Wie immer vermuten wir aber, dass vor allem Jugendliche, die bereits aus instabilen Familienverhältnissen stammen, härter von der Pandemie getroffen wurden als solche aus stabilem Umfeld. Schwierige Familienverhältnisse haben sich teilweise verschärft: Viele Familienmitglieder auf engem Raum, finanzielle Schwierigkeiten, emotionale Ausbrüche führen vermehrt zu Krisen und Konflikte.

In der Beratung der Schulsozialarbeit wird sichtbar, dass die Herausforderungen, denen sich Jugendlichen stellen müssen, gestiegen sind. Es geht eine Kumulation von Ereignissen, die auf Covid-19 zurückzuführen sind welche belasten. Angst um den Arbeitsplatz oder Kurzarbeit bei den Eltern und wenig bis keine Möglichkeiten seine Freizeit in der ursprünglichen Form zu verbringen für die Jugendlichen, führen zu vermehrten emotionalen Auseinandersetzungen in Familien. Für Jugendliche ist es wichtig, mit Gleichaltrigen zusammen zu sein, zusammen etwas zu unternehmen, essen, feiern. Das war nicht möglich. Auch die Jugendhäuser waren geschlossen, das Freizeitangebot stark eingeschränkt.

Die Anzahl von psychisch stark belasteten Jugendlichen hat deutlich zugenommen. Besonders von negativen Folgen betroffen sind Jugendliche, welche schon davor psychische Belastungen aufwiesen. Diese wurde durch die Pandemie weiter verschärft. Die Schulsozialarbeit begleitet zurzeit viele Jugendliche, welche sich einen stationären Klinikaufenthalt wünschen, diesen aber aufgrund der fehlenden Kapazitäten nicht antreten können.

Auch macht der Absentismus Sorgen, welcher nach dem Lockdown zu einem grösseren Problem wurde. Wir waren mit Schülerinnen und Schülern konfrontiert, die sich zurückgezogen hatten und den Anschluss an die Klasse nach dem Lockdown nicht mehr fanden. Vor allem für Schülerinnen und Schülern mit sozialen Ängsten war der Lockdown problematisch. Solche Schülerinnen und Schülern konnten sich sehr unauffällig zurückziehen. Die Schwierigkeiten zeigten sich erst dann, als die Schülerinnen und Schülern wieder zur Schule hätten gehen sollen.

Viele Schülerinnen und Schüler fühlten sich abgeschnitten und isoliert. Das ist nicht so einfach wahrnehmbar, es ist eher ein allmähliches sich zurückziehen. Wieder trifft es bereits belastete Jugendliche viel härter.

Für die Schulen, besonders für die Schulsozialarbeit, ist es eine grosse Herausforderung, dass alle Helfersysteme überlastet sind. Problematisch ist, dass bei sogenannten Problemfällen mehr Zeit verstreicht, bis eine Lösung gefunden werden kann, da die Fachstellen komplett überlastet sind. Dies wiederum verlangt von der Schule diese Problemfälle länger mitzutragen, bevor externe Lösungen angedacht werden können, was wiederum zu einer zusätzlichen Belastung für die Schule führt. Vermehrt zeigen Schülerinnen und Schüler psychische Auffälligkeiten mit Therapie-Bedarf. Leider ist hier das System sehr überlastet, es kommt zu langen Wartezeiten (4-6 Monate) auf Therapieplätze.

Schülerinnen und Schüler in besonderen Settings wie spur+ wären auf eine stabile, zuverlässige «Vor Ort- Beziehung» angewiesen gewesen. Ebenso war die Beratung und Unterstützung der Eltern sehr zeitintensiv und herausfordernd. Das selbstständige Erledigen von Schulstoff mit zeitweiser, digitaler Betreuung überforderte die meisten Jugendlichen, die bei spur+ im Time out waren.

Fälle, die in normalen Zeiten von anderen Stellen übernommen worden wären, konnten nicht mehr vermittelt werden. Durch die grosse Überlastung der psychiatrischen Angebote und der langen Wartelisten, um dorthin zu gelangen, konnten die Schülerinnen und Schülern nicht der Psychiatrie zugeführt werden. spur+ übernahm Jugendliche und begleitete sie in Absprache mit den zuweisenden Stellen, so lange keine Fremd- oder Selbstgefährdung vorlag und eine Notfalleinweisung zwingend wurde.

Zu Frage 2: Die Sekundarstufe Uster sieht auf ihrer Ebene wenig akuten Handlungsbedarf. Aber alle Beteiligten kamen an ihre Belastungsgrenzen. Die Ressourcen dürfen daher keinesfalls gekürzt werden. Eher müssten niederschwellige Anlaufstellen wie die Schulsozialarbeit über einen gewissen Zeitraum aufgestockt werden, um dem drohenden Anstieg von Problemfällen (psychische Langzeitfolgen) entgegenwirken zu können. Die psychischen Langzeitfolgen bei den Jugendlichen sind noch nicht abzuschätzen.

Auf Ebene Kanton wurde am 10. Juni 2021 ein Massnahmenpaket zur Verbesserung der Versorgungssituation in der Kinder- und Jugendpsychiatrie geschnürt. Dieses soll die stationäre und ambulante Grundversorgung sicherstellen und zu einer angemessenen psychiatrischen Versorgung der Kinder und Jugendlichen beitragen. Von diesen zusätzlichen Kapazitäten erhofft sich die Sekundarstufe Uster eine Entlastung.

Die Berufswahl ist noch anspruchsvoller und komplexer geworden. Informationsveranstaltungen fanden nicht mehr statt und das Schnuppern, um sich ein Bild über die verschiedenen Berufe zu machen, ist wegen Covid-19 erschwert. Im Sommer 2020 fanden zwar noch nicht weniger Jugendliche als in normalen Jahren eine Anschlusslösung. Wie die Situation im Sommer 2021 aussieht, lässt sich noch nicht genau abschätzen. Es gibt aber vermehrt Anmeldungen an die Berufswahlschule mit der Begründung, dass Corona das Kennenlernen von Berufen und Betrieben stark erschwert hat. Die Berufswahlschule hat ihr Angebot auf Schuljahr 2021/22 bereits angepasst. Im neuen Profil (HGD) wird Jugendlichen mit psychosozialen Themen Rechnung getragen.

Je nach konjunktureller Entwicklung wird es für Jugendliche noch schwieriger werden, direkt nach der Sekundarschule den Einstieg in die Berufswelt zu finden. Wir rechnen mit vermehrten Anmeldungen an die Berufswahlschule, was für die Sekundarstufe zu deutlich höheren Kosten führt. Im Budget 2022 wird das bereits entsprechend berücksichtigt.

Zu Frage 3: Weil die Sekundarstufe Uster vor allem in Hinblick auf die Digitalisierung mit dem ICT-Konzept dem Thema rechtzeitig das notwendige Gewicht gegeben hat, könnte beispielsweise ein weiterer Fernunterricht ohne grössere Schwierigkeiten wieder aufgegleist werden könnte. Notwendige Anschaffungen wurden aber durch die ICT-Fachgruppe bereits in der laufenden Planung berücksichtigt. 

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