Vorstösse der SP Uster im Gemeinderat

18. Mai 2020

Übertriebener Polizeieinsatz gegen KlimaaktivistInnen

Anfrage von Florin Schütz, Eveline Fuchs (Grüne) und Beatrice Caviezel (GLP)

Am 15. Mai wurden am Wochenmarkt mehrere Klimaaktivist*innen in Uster kontrolliert und weggewiesen. Als Grund für die Wegweisung wurde auf das Corona-bedingte Versammlungsverbot verwiesen. Pikant: Die Aktivist*innen verbreiteten zwar durch beschriftete Masken, Buttons und ähnlichem eine politische Botschaft, waren aber einzeln unterwegs, eine Versammlung war nicht geplant. Ebenso wurden den Aktivist*innen diverse Gegenstände (Masken, Kleber, Ansteck-Buttons) entnommen, die weder verboten sind, noch in irgendeiner Weise eine Gefahr dargestellt hätten.

Im Rahmen des Klima-Aktionstages «Challenge for Future», der an diesem Tag stattfand, hatte die Bewegung «Klimastreik Uster» eine «Schuhdemonstration» geplant, wie sie in ähnlicher Form in der Stadt Zürich durchgeführt und geduldet wurde. Mit dem Auslegen zahlreicher Schuhpaare auf einem öffentlichen Platz wollte die Bewegung eine Menschenansammlung symbolisieren und auf dringend notwendige Massnahmen zum Schutz unserer Umwelt aufmerksam machen. Die Aktion wurde bereits im Voraus von der Stadtpolizei verboten. Dies führte auch zu medialer Kritik durch den Klimastreik, allerdings wurde das Verbot akzeptiert.

Als Alternative sollte die Aktion auf einem privaten, nicht öffentlich einsehbaren Gelände durchgeführt werden, auch dem machte die Polizei aber einen Strich durch die Rechnung. Vier Klimaaktivist*innen wurden von der Polizei aufgehalten, als sie das Material durch die Stadt transportierten. Sie wurden auf den Polizeiposten eskortiert und erhielten ein 24-stündiges Aufenthaltsverbot für die Innenstadt. Schilder und Schuhe wurden vorübergehend beschlagnahmt.

Dieses rigorose Durchgreifen der Polizei, obwohl keine Handlung stattfand, die gegen das vom Bund auferlegte Versammlungsverbot verstossen hätte, ist bedenklich und wirft Fragen auf. Auch in Krisenzeiten muss politischer Aktivismus und politische Meinungsäusserung möglich sein. Wegweisungen aufgrund von ebensolcher sind absolut inakzeptabel, sofern nicht explizit gegen behördliche Anweisungen verstossen wird.

Dieser Vorfall muss konsequent aufgearbeitet und entsprechende Lehren und Konsequenzen gezogen werden.

Wir stellen dem Stadtrat folgende Fragen:

  1. Wie beurteilt der Stadtrat das Eingreifen der Polizei in dieser konkreten Situation? Inwieweit war dieses in den Augen des Stadtrates gerechtfertigt/notwendig?
  2. War das Vorgehen der Polizist*innen eine spontane Reaktion oder entsprach dieses einem im Voraus durchgegeben Befehl/Einsatzkonzept?
  3. Am Einsatz waren sowohl die Stadt-, als auch die Kantonspolizei beteiligt. Welcher Polizeikorps hatte den Lead?
  4. Müssen Personen in Uster auch in Zukunft damit rechnen eine Wegweisung zu erhalten, wenn sie politische Accessoires auf sich tragen? Wenn ja, wie rechtfertig der Stadtrat ein solches Vorgehen?
  5. Wie wird sichergestellt, dass auch in Krisenzeiten bestimmte Formen von politischem Aktivismus möglich sind?
  6. Verfügt die Stadtpolizei Uster über ein Konzept, wie in Krisenzeiten mit nicht bewilligten Veranstaltungen, Aktionen, etc. umzugehen ist? Falls ja, wie sieht dieses aus?

 Besten Dank für die Beantwortung der Fragen.

Der Stadtrat beantwortet die Anfrage wie folgt:

Vorbemerkung

Am 7. Mai 2020, 18.43 Uhr, wurde die Stadtpolizei via online Kontaktformular durch «uster@climatestrike.ch» informiert, dass am 15. Mai 2020 anlässlich des schweizweiten Klimaaktionstages «Challenge4future» eine «Schuhdemo auf dem Stadthausplatz» organisiert werden soll. Die Gesuchsteller von Klimastreik Uster anerkannten in ihrer Mitteilung, dass sie sich bewusst seien, «dass Sie [die Stadtpolizei Uster als Adressat der Mitteilung] aufgrund der Vorgaben des Kantons eine solche Aktion wohl nicht bewilligen dürfen und bitten gerade deshalb um ihre Akzeptanz».

Aus Sicht der Stadtpolizei Uster war eine Veranstaltung in der am 15. Mai 2020 geplanten Art in Berücksichtigung der per 8. Mai 2020, resp. dann per 15. Mai 2020 geltenden COVID-19 Verordnung 2 des Bundesrates nicht bewilligungsfähig. Entsprechend wurde die Aktion durch die Stadtpolizei Uster als bewilligungsausstellende Behörde, dies nach Rücksprache mit den zuständigen Stellen des Kantons Zürich sowie unter Einbezug des Sicherheitsvorstandes von Uster, per 8. Mai 2020 nicht bewilligt.

Gemäss Art. 6 Abs. 1 der Verordnung 2 über Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus (COVID-19) vom 13. März 2020 (Stand 30. April 2020), war es am 15. Mai 2020 verboten «… öffentliche oder private Veranstaltungen, einschliesslich Sportveranstaltungen und Vereinsaktivitäten durchzuführen». Eine öffentliche oder private Veranstaltung nach Art. 6 Abs. 1 COVID-19 ist ein zeitlich begrenztes, in einem definiertem Raum oder Perimeter stattfindendes und geplantes Ereignis, an dem mehrere Personen teilnehmen. Dieses Ereignis hat in aller Regel einen definierten Zweck und eine Programmfolge mit thematischer, inhaltlicher Bindung. Die Organisation des Ereignisses liegt in der Verantwortung eines Veranstalters, einer Person, Organisation oder Institution.

Die beabsichtigte Schuhaktion («Schuhdemo») war trotz den beabsichtigten Schutzmassnahmen unzweideutig als Veranstaltung im Sinne des obgenannten Art. 6 Abs. 1 COVID-19 zu qualifizieren und entsprechend nicht erlaubt. Weder auf dem Stadthausplatz in Uster noch andernorts. Vor diesem Hintergrund erübrigte sich auch das Ausschauhalten nach einem Alternativstandort zum Stadthausplatz.

Am 8. Mai 2020 wurde der mutmassliche Organisator und Vertreter von Klimastreik Uster (anlässlich des Telefonates auch so bestätigt) durch die Stadtpolizei Uster darüber informiert, dass die Organisation einer Versammlung, einer Demonstration oder einer anderweitigen Zusammenkunft nicht bewilligt würde und widerrechtlich sei. Zudem wurde dem Organisator mitgeteilt, dass an dem gewünschten Freitag erstmalig der Wochenmarkt stattfinden werde und der Stadthausplatz per se nicht zur Verfügung stünde.

Am 13. Mai 2020, 21.59 Uhr, sandten die Organisatoren ein Antwortschreiben an die Stadtpolizei Uster. In ihrem Schreiben anerkannten Sie, dass «der Stadtplatz kein passender Ort gewesen wäre» und es nicht möglich sei, «eine Aktion, bei gleichzeitigem Markt auf dem Stadthausplatz zuzulassen». Die Aktivisten/innen äusserten sich dahingehend, dass die freie Meinungsäusserung eingeschränkt würde und dieses Verbot eine unverhältnismässige Einschränkung der Grundrechte darstelle.

Zu Frage 1: In casu wurde die Organisation und das Durchführen der «Schuhdemo» auf der vom Bundesrat erlassenen rechtlichen Grundlage verboten. In den Erläuterungen zur Verordnung 2 vom 13. März 2020 über Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus (COVID-19-Verordnung 2) werden Demonstrationen explizit auf Seite 21/43 als Veranstaltungen bezeichnet, welche gemäss Art. 6 Abs. 1 COVID-19-Verordung 2 verboten sind.

Aufgrund des Antwortschreibens vom 13. Maia 2020 mussten die Kantonspolizei Zürich und die Stadtpolizei Uster davon ausgehen, dass die Organisatoren die «Schuhdemo» trotz der mitgeteilten Nichtbewilligung und Widerrechtlichkeit dennoch durchführen würden. 

Der polizeiliche Auftrag lautete neben der Umsetzung der COVID-19-Verordnung 2 einen störungsfreien Wochenmarkt auf dem Stadthausplatz zu gewährleisten.

Mit der Beobachtung der Schuhsammelstelle(n) und einer räumlich vorgelagerten, frühzeitig durchgeführten Kontrolle der angetroffenen vier Klimaaktivisten auf ihrem mutmasslichen Weg zum Stadthausplatz konnte dieses Ziel zufriedenstellend erreicht werden. Die Feststellungen der Frontpolizei liess die Schlussfolgerung zu, dass die erwähnten vier Klimaaktivisten organsiert auf die Klimathematik aufmerksam machen wollten – sei es auf oder vor dem Stadthausplatz oder andernorts in der Innenstadt. Juristisch betrachtet stand damit zumindest das Versuchsstadium einer Widerhandlung gegen Art. 6 Abs. 1 COVID-19-Verordung 2 (sog. Vergehenstatbestand) im Raum.

Die eingesetzten Polizeikräfte planten den Einsatz vorausschauend, führten die Aktion in angemessener und zurückhaltender Weise durch und gewährleisteten damit nicht nur die störungsfreie Durchführung des Wochenmarktes, sondern auch die Einhaltung der COVID-19-Verordnung 2.

Zu Frage 2: Der Einsatz der Polizeien (die Einsatzführung lag bei der Kantonspolizei Zürich, die Stadtpolizei Uster war unterstützend im Einsatz) wurde im vorab geplant. Involviert waren nebst den regional verantwortlichen Führungskräften auch das Lagezentrum der Kantonspolizei Zürich. Ein geplanter taktischer Einsatz beginnt stets mit einer Befehlsausgabe anlässlich derer die Ausgangslage, die rechtlichen Grundlagen, das taktische Einsatzverhalten (sog. Rules of Engagement) sowie Eventualplanungen besprochen und die Aufträge erteilt werden. Zum polizeitaktischen Verhalten und zu den Einsatzkonzepten wird der Stadtrat an dieser Stelle keine Ausführungen machen können.

Die in der Anfrage angesprochenen Sicherstellungen von Gegenständen wurden durch den Einsatzleiter der Kantonspolizei angeordnet. Gleich verhält es sich in Bezug auf die eröffneten Wegweisungen. 

Zu Frage 3: Gemäss § 11 Abs. 1 des Polizeiorganisationsgesetzes (POG) ist die die Kantonspolizei Zürich die Kriminal-, Sicherheits- und Verkehrspolizei für den ganzen Kanton. Gemäss Abs. 2 und 3 hält sie Interventions- und Unterstützungselemente zur Bewältigung ordentlicher und ausserordentlicher Ereignisse bereit. Bei deren Einsatz berücksichtigt sie insbesondere die Bedürfnisse der Gemeinden und ist auf dem ganzen Kantonsgebiet zum Handeln befugt. 

Nach § 17 POG nehmen die Gemeindepolizei die sicherheitspolizeilichen Aufgaben wahr, soweit sie nicht in die Zuständigkeit der Kantonspolizei fallen. Sie ist insbesondere für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit, Ruhe und Ordnung besorgt und trifft Massnahmen bei Kundgebungen und anderen Veranstaltungen. 

Gemäss § 19 POG stellen die Gemeindepolizeien Übertretungen fest und ahnden diese. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass die Kantonspolizei Zürich für die Feststellungen und Ahnung von Vergehen und Verbrechen sich zuständig zeichnet. 

Nach Art. 10f COVID-19-Verordnung 2 wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft, wer sich vorsätzlich Massnahmen nach Artikel 6 widersetzt. Als Vergehensstraftatbestand fiel die Feststellung und Ahndung des im Raum gestandenen Vergehens folglich in den Zuständigkeitsbereich der Kantonspolizei Zürich.

Die Führung des Einsatzes wurde infolgedessen durch die Kantonspolizei Zürich (sog. Gesamteinsatzleiter) in enger Zusammenarbeit/Absprachen mit der Stadtpolizei Uster wahrgenommen.

Zu Frage 4: Eine Wegweisung kann gemäss § 33 lit. a POG ausgesprochen werden, wenn eine «Person oder eine Ansammlung von Personen, der sie angehört, die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet». Von der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch Personenansammlungen ist auszugehen, wenn elementare polizeiliche Schutzgüter verletzt werden oder die konkrete Gefahr der Verletzung droht. 

In casu lag ein möglicher Verstoss gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung vor, weil einerseits die Missachtung von gesetzlichen Vorschriften (Art. 6 Abs. 1 COVID-19-Verordnung 2) und anderseits die Missachtung eins ausgesprochenen behördlichen Verbots im Raum standen.

Die Wegweisung wurde nicht aufgrund des Mittragens von politischen Accessoires ausgesprochen, sondern aufgrund der obig dargelegten und eindeutig erkennbaren Absicht, sich der bundesrätlichen Verordnung und dem behördlichen Verbot zu widersetzen und eine Demonstration, resp. eine gesetzlich nicht erlaubte Veranstaltung im Sinne von Art. 6 Abs. 1 COVID-19-Verordnung 2 durchzuführen.

Entgegen der Darstellung in der politischen Anfrage stellte die Frontpolizei am Morgen des 15. Mai 2020 zu keinem Zeitpunkt fest, dass als Alternative die Aktion auf einem privaten, nicht öffentlich einsehbaren Gelände hätte durchgeführt werden sollen. Dies hätte letztlich auch nichts Wesentliches geändert, waren zur fraglichen Zeit gemäss der eingangs erwähnten Verordnungsbestimmung ja auch private Veranstaltungen verboten.

Zu Frage 5: Im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen können auch in Krisenzeiten politische Aktivitäten stattfinden. Im vorliegenden Fall war die geplante Veranstaltung aber durch die bundesrätliche Verordnung 2 vom 13. März 2020 über Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus (COVID-19-Verordnung 2) verboten.

Zu Frage 6: Für die Praxis gibt es kein Standardkonzept. Auf jede Veranstaltung ist im Vorfeld oder ad hoc einzeln einzugehen. Dabei wird berücksichtigt, was aufgrund der gültigen Rechtsgrundlagen möglich ist und was nicht. Die polizeilichen Vorbereitungen und das polizeitaktische Vorgehen richten sich entsprechend nach diesen Komponenten.

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